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„Corona hat die Seelsorge-Arbeit verändert“ - Einblicke und Herausforderungen
Interview mit Krankenhausseelsorgerin Friedhilde Lichtenborg
Ihr Einsatzort ist seit 2018 das St. Ansgar Krankenhaus in Höxter in Trägerschaft der Katholischen Hospitalvereinigung Weser Egge gGmbH. Durch persönliche Gespräche, Gebete, (Segens-) Rituale und Gottesdienste begleitet die Pfarrerin Patient*innen bei Krankheitsverarbeitung und Lebensreflexion, unterstützt mit Hoffnung und Trost – in der Pandemie unter veränderten Voraussetzungen:
1. Wie hat sich Ihre Seelsorge-Arbeit durch Corona verändert?
Pfarrerin Friedhilde Lichtenborg: „Die Gestalt der Arbeit hat sich durch Corona verändert: Ich muss mich neu positionieren - und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, denn ich muss mich mit Schutzkleidung - auf mindestens zwei Meter Abstand hinter dem Patientenbett-Ende ‚aufstellen‘. Habe ich vorher immer darauf geachtet, dass wir auf Augenhöhe sprechen und ich dadurch schon Nähe und Vertrauen aufbaue und auch Kontakt durch tatsächliche Berührungen herstelle - ist jetzt die wichtigste Regel: Abstand! Kein Kontakt! Sich und Patient*in durch Maske, Schutzkittel, Desinfektion schützen! Bevor ich ein Zimmer betrete, kläre ich noch im Türrahmen ab, ob der / die Patient*in überhaupt ein Gespräch will. Wenn nicht, kann ich die Schutzkleidung ‚sparen‘ und gehe zum nächsten Zimmer.
Schutz und Beschützen sind Hauptmotive geworden: Das vertrauliche seelsorgerliche Gespräch wird zum Schutzraum gegen die Angst. Der kleine, desinfizierte Bronzeengel, den ich verschenke, wird zum begreifbaren Symbol, dass Gott für uns Menschenkinder Schutz und Schirm sein will, wie es in den Psalmen heißt. Es geht auch um ein Beschützen der Patient*innen vor der allgemeinen Unsicherheit, die durch Corona entstanden ist, mit der Versicherung: ‚Seien Sie beruhigt, hier sind Sie gut versorgt. Sie sind nicht allein‘ Patient*innen brauchten diese Zusicherung in der Corona-Zeit besonders deutlich. Viele haben das auch ausdrücklich immer wieder eingefordert, denn sie waren durch das Besuchsverbot ja ganz auf sich gestellt. Zum Beispiel konnte die ältere schwerhörige Dame sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Tochter nachmittags kommt und alles regelt. Da musste viel beruhigt, nachgefragt und zum Beispiel beim Telefonieren unterstützt werden
Es gab etliche Situationen, in denen ein Smartphone oder I-pad für ein Foto oder Video hilfreich gewesen wäre. Die Klinikseelsorge hat die Anschaffung entsprechender Geräte angeregt - vor allen Dingen für die isolierten Patient*innen auf der Covid-Station. Leider konnte die Idee bis jetzt noch nicht umgesetzt werden.“
2. Was waren besondere oder eindringliche Erfahrungen?
F. L.: „Ein Fall auf der Covid-Station: älteres Ehepaar, immer zusammen, ‚nie getrennt‘ - die Frau wurde positiv auf das Coronavirus getestet und kommt ins Krankenhaus auf die Covid-Station. Der Ehemann kann sie nicht besuchen. Die Frau verstirbt auf der Station, zeitgleich kommt auch der erkrankte Ehemann auf die Covid-Station und kann seine Frau nur noch als Tote sehen, ist mittlerweile selbst schwer an Covid erkrankt und muss isoliert behandelt werden. Ich gehe zu ihm und höre von ihm die ganze Trauergeschichte und mir wird klar, dass ich die Einzige bin und sein werde, mit der er das besprechen kann. Trauerverarbeitung in 30 Minuten, denn länger sollte ich mich nicht im Zimmer mit zwei ansteckenden Covid-Patienten aufhalten. Mit den erwachsenen Töchtern kann er nur telefonieren. Diese organisieren die Bestattung der Mutter, der Vater kann nicht an der Beerdigung teilnehmen, und verstirbt auch nach einigen Tagen. Das ist ein Fall aus der Anfangssituation mit Covid: große Unsicherheit und Überforderung auf allen Seiten und die Erkenntnis, dass Isolation, auch wenn sie zum Schutz erforderlich ist, im Grunde unmenschlich und unwürdig ist. Denn in Krisensituationen gehören doch die Vertrauens-Menschen ans Kranken- und Sterbebett, die für den Kranken wichtig sind.“
3. Hat sich die Belastung durch Corona in Ihrem Arbeitsbereich inzwischen etwas entspannt, gibt es neue Herausforderungen?
F.L.: „Die Corona-Lage hat sich insgesamt, und auch insbesondere für mich und meine Arbeit, durch die Impfung entspannt. Natürlich müssen alle Hygiene- und Abstandsregeln weiter eingehalten werden und ich sitze auch noch mit Abstand am Bett, aber es ist alles nicht mehr so verkrampft und angstbesetzt. Auch Angehörige dürfen derzeit mit Anmeldung und getestet oder geimpft in einer festgelegten Besuchszeit ins Krankenhaus kommen. - Eine der neuen Herausforderungen - nicht nur für die Seelsorge - ist die Kommunikation mit den Angehörigen und ihre Einbindung in den Heilungsprozess. Es ist jetzt wirklich deutlich geworden, dass alle Beteiligten besser ‚zusammenspielen‘ müssen zum Wohl der Patient*innen. Sicherlich ist dafür insgesamt mehr Pflegepersonal nötig. Doch es muss auch wieder mehr darum gehen, dass jede*r Krankenhausmitarbeitende ein wichtiger Teil im Gesamtbetrieb Krankenhaus ist und alle Mitarbeitende wertvoll und wichtig sind. Die Pandemie hat gezeigt, dass das noch einmal neu gedacht und umgesetzt werden muss.“
Foto: KHWE