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Arbeitsethik 4.0 – Sozialethische und –politische Konsequenzen der digitalen Vernetzung der Arbeitswelt

Prof. Traugott Jähnichen und Petra Paulokat-Helling vor dem EV. Forum

Im Evangelischen Gemeindehaus hatte sich ein interessiertes Publikum eingefunden, das dem anschaulichen und mit vielen Fakten belegten Vortrag mit Interesse folgte. Prof. Jähnichen zeichnete ein sehr komplexes Bild der Entwicklung in der Arbeitswelt

Zunächst erläuterte er die noch nicht allgemein bekannte Zahl „4.0“.Wir befinden uns mittlerweile in der vierten industriellen Revolution, nach Dampfmaschine, Fließband und Computerisierung geht es jetzt um die digitale Vernetzung der Arbeitswelt. Bringt sie den Arbeitnehmern Vorteile oder ist eher mit negativen Auswirkungen zu rechnen? Kann man den möglicherweise negativen Auswirkungen etwas entgegensetzen?

Positive Auswirkungen hat die Digitalisierung auf jeden Fall für gut ausgebildete Arbeitnehmer, die flexibel arbeiten wollen, z.B. um Beruf und Familie verbinden zu können. Schon heute arbeiten viele Menschen, vor allem in großen Firmen, ohne feste Arbeitszeiten und Räume. Sie haben überdurchschnittlich oft einen Universitätsabschluss, arbeiten nur wenige Stunden und verdienen verhältnismäßig wenig. Interessanterweise ist die subjektive Zufriedenheit bei diesen „crowd-workern“ in entgrenzten Arbeitsverhältnissen sehr hoch. Sie erleben ihre Arbeit als selbstbestimmt und fühlen sich wenig gestresst und gehetzt.

Die Auswirkungen der Umstrukturierungen auf nicht so gut ausgebildete Arbeitnehmer sehen weniger rosig aus. Mangelnde soziale Absicherung ist die Kehrseite der flexiblen Arbeitsverhältnisse mit formaler Selbstständigkeit. Schon jetzt steht fest, dass der Mittelstand schrumpft, auch in Deutschland. Immer weniger Menschen beziehen ein mittleres Einkommen. Der Niedriglohnsektor steigt an, in Deutschland von 14% im Jahr 1998 auf 22% im Jahr 2011. Eine Folge davon ist, dass immer mehr Arbeitnehmer auf Nebenjobs angewiesen sind.

Eine zunehmende Digitalisierung ermöglicht eine immer stärkere Kontrolle der Arbeiter und des Konsumverhaltens. So überprüft eine Supermarktkette in den USA das Kaufverhalten von schwangeren Frauen, wertet es aus und kontaktiert die Frauen dann. Auch die Preise der Waren können flexibel gestaltet und an die Kunden angepasst werden, z.B. mit Gutscheinen.

Wie sich diese Digitalisierung und Individualisierung im Arbeitsprozess und in den Arbeitsverhältnissen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft auswirken, lässt sich noch nicht absehen. Schon jetzt gibt es überall Auswirkungen auf das Gebot der Sonntagsruhe.

Die EKD-Denkschrift „Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt“ (2015) geht im Titel von einer Vereinbarkeit beider Werte und Ziele aus. Es bleibt zu hoffen, dass die Flexibilisierung und Individualisierung in den Arbeitsprozessen, in denen jeder wenig über den anderen weiß, Absprachen und Vereinbarungen, die über ein kurzfristiges Projekt hinaus gehen, überhaupt noch möglich machen. Ohne sie ist Solidarität nicht umzusetzen.

Die Zukunft wird große soziale Herausforderungen bringen. Eine langfristige Sicherung der Renten und eine Sicherheit in der medizinischen Versorgung können vermutlich erreicht werden, z.B. mit dem skandinavischen Modell der steuerbasierten medizinischen Versorgung. Hierzu ist ein gesellschaftlicher und politischer Konsens erforderlich.

Petra Paulokat-Helling

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