Mehr als 80 interessierte Zuhörer waren der Einladung zum Vortrag von Professor Jähnichen gefolgt.
Sie erwartete eine gut gegliederte und sorgfältig mit Texten belegte Einführung in Bonhoeffers Gedanken zum religionslosen Christentum.
Prof. Jähnichen erläuterte zunächst, wie wichtig Bonhoeffers Erfahrungen in der Haft für diese Gedanken waren. Bis dahin hatte Bonhoeffer den Glauben in erster Linie nur noch als Lückenbüßer für Fragen erlebt, die die Menschen nicht mehr beantworten konnten. Solche Fragen betrafen persönliches Leid, den Tod oder den Umgang mit Schuld. In der Haft stellte er jetzt fest, dass Menschen auch in der täglichen Bedrohung ihres Lebens durch Bombenangriffe oder Todesurteil ohne religiösen Bezug zurecht kamen. Grenzfragen des Lebens boten keine Anknüpfungspunkte für religiöse Gespräche mehr. Die Zeit der Religion als Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens war vorbei.
Aus diesen Erfahrungen, dass Gott auch als Lückenbüßer in der autonomen Welt ausgedient hat, entwickelte Bonhoeffer die Arbeitshypothese vom mündigen Menschen, der Gott nicht mehr brauche. Der Glaube müsste jetzt von den Rändern des Lebens in die Mitte gelangen. Menschen sollten nicht in der Situation der Schwäche, sondern der Stärke gepackt werden. Als Konsequenz sollten die Menschen aus dieser Stärke heraus am Leiden Gottes in der Welt teilnehmen und den Weg Christi mitgehen. Genauso, wie Jesus ein Mensch für andere war, müsste auch die Kirche für andere da sein.
Die Überlegungen, wie der mündige Mensch in der Diesseitigkeit des Lebens glauben lernen kann, blieben fragmentarisch, aufgrund seiner Hinrichtung konnten sie nicht vollendet werden.
Diese Gedanken Bonhoeffers sind nach Meinung von Prof. Jähnichen auch heute noch aktuell. Die Erkenntnis Gottes geschehe von Christus, vom Leiden her. Nur der ohnmächtige Gott - ohnmächtig auch angesichts von Kriegen – könne Trost spenden.
Kritisch sah Jähnichen hingegen Bonhoeffers Konzept des mündigen Menschen und der Religionslosigkeit. Der Begriff des „mündigen Menschen“ greife angesichts des auch heute aktuellen Terror und Krieges zu kurz. Mensch und Welt erwiesen sich als komplizierter und ambivalenter als Bonhoeffer vermutet habe, Mündigkeit sei angesichts des menschlichen Verhaltens kein rein positiver Begriff.
Die von Bonhoeffer prognostizierte Religionslosigkeit sei als durchgängiges Phänomen nicht eingetreten.
Die Bedeutung Bonhoeffers für uns heute wird innerhalb des Bonhoeffer-Projektes in der geistlichen Revue zum Gedicht „Wer bin ich“ am 16.3. einen Schwerpunkt bilden.